Wien 1993 Geschichte der Homöopathie in Österreich
Die Geschichte der Homöopathie in Österreich
LEOPOLD DREXLER
Zusammenfassung
Die Homöopathie in Österreich begann mit dem Jahre 1777, als HAHNEMANN als Student in Wien
bei QUARIN weilte und hier seine ärztliche Haltung geformt wurde. 1816 brachte MARENZELLER die
Homöopathie zunächst nach Prag und anschließend nach Wien. Nach Verbotsjahren 1818-1837
erlebte die Homöopathie nicht nur personell, sondern auch durch ihre bekannten Arzneinachprü-
fungen eine große Bedeutung. Es kam ab ca. 1870 zum Niedergang der Homöopathie. Erst 1953
wurde sie wieder neu begründet und erlebt bis heute einen großen Aufschwung. Die Wiener
Schule wird kurz in ihrer Didaktik und in ihrem Ziel beschrieben. Das Ziel ist die Integration der
Homöopathie als eine Medizin der Person in eine größere Medizin.
Summary
Homeopathy in Austria began with HAHNEMANN himself being student in Vienna 1777. 1816
MARENZELLER was treating first in Prague, later in Vienna. Homeopathy was forbidden from 1817 to
1837., but was further spreading in the same time. In the mid last century many remedy-reprovings
were made in Vienna, but the homeopathy was losing its influence since about 1870. 1953 a new
beginning of homeopathy is taking place. Today there are about 700 medical doctors treating with
Hahnemann’s homeopathy. A short description of the Vienna School of Homeopathy with its
didactics and aim follows. The aim is to integrate homeopathy as a “medicine of person” in a
wider field of medicine.
de
Die Geschichte der Homöopathie in Österreich beginnt mit HAHNEMANN selbst,
als er 1777 für 9 Monate nach Wien zum Studium geht und bei dem damals in
Europa berühmten Hofarzt QuARIN (1733-1814) im Krankenhaus der
„Barmherzigen Brüder“ und in seiner Privatpraxis erstmals die Behandlung
kranker Menschen miterleben darf. „Dem großen praktischen Genie, dem
Leibarzt QUARIN, verdanke ich, was Arzt an mir genannt werden kann“,
schreibt HAHNEMANN später. QUARIN war eng befreundet mit v. STÖRK
(1731-1803), dem Nachfolger VAN SWIETENS. V. STÖRK ist der Begründer der
modernen Pharmakologie. Er führte unter anderem die Arzneiprüfung am
Menschen ein, allerdings nicht um wie HAHNEMANN Symptome am Gesunden
für die Arzneiwahl zu erfahren, sondern die Toxizität herauszufinden. STÖRK
hat auch 8 neue Arzneimittel in die damalige Medizin eingebracht, von denen
wir sieben später in der „Reinen Arzneimittellehre“ wiederfinden: cic., stram.,
hyosc., aconit, colchic., clematis und puls. STÖRK ist auch ab der 2. Auflage im
Organon erwähnt.
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1816 bekam MARENZELLER, Stabsarzt in Prag, das Organon in die Hand. So
wurde das Prager Invalidenhaus, in dem MARENZELLER wirkte, das erste Kran-
kenhaus, in dem homöopathisch behandelt wurde. Daneben hatte MAREN-
ZELLER eine Privatpraxis mit vielen Patienten aus dem Adel und Militär. Über
ihn kam auch Fürst v. SCHWARZENBERG Zu HAHNEMANN in Behandlung. Sein Tod
soll für HAHNEMANN dann der Beginn des Beschäftigens mit chronischen
Krankheiten gewesen sein, sodaß 1828 das Buch der „Chronischen Krankhei-
ten“ erschien.
Nach den Napoleonischen Wirren wurde 1819 die Homöopathie in Österreich
bis 1837 verboten. Trotz, oder wegen des Verbotes nahm die Homöopathie
einen großen Aufschwung, sodaß von 1832 an in Wien bei den „Barmherzigen
Schwestern“ ein Homöopathisches Krankenhaus errichtet wurde, dem bald
zwei weitere in Wien und weitere im Bereich der österreichischen Monarchie
folgten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Wien fast 50 (!) homöopa-
thisch tätige Ärzte. Bedeutend für die Homöopathie bis heute war die damali-
ge „Vereinigung homöopathischer Ärzte für physiologische Arzneimittelprü-
fung“. Auf den Nachprüfungen der damaligen Ärzte beruht noch heute ein
wichtiger Teil unserer Materia medica. Unter den geprüften Arzneimitteln fin-
den sich aconit, bry., thuja, kal. bichr., arg. nitr., arg. met., coloc., natr. mur.,
sulfur etc. Neben Wien gab es auch in Prag eine, in Ungarn zwei Lehrkanzeln
für Homöopathie.
Der Aufschwung der herkömmlichen Medizin in der zweiten Hälfte des letzten
Jahrhunderts, vor allem durch die 2. Wiener Medizinische Schule, mit Ro-
KITANSKY, SKODA, SEMMELWEIS, den Entdeckungen und der Spezialisierung in
der damaligen Medizin bewirkte eine große Faszination auf die Studenten und
Ärzte, sodaß die Homöopathie viel an Bedeutung verlor. Nur wenige Ärzte
retteten die Homöopathie in dieses Jahrhundert.
Vor dem 2. Weltkrieg waren es ROSENBAUM, WANCURA, SCHREIBER und GUTMANN,
der 1938 in die USA emigrieren mußte, die die Homöopathie ausübten. Nach
dem 2. Weltkrieg war es SEITSCHEK, der mit Frau Dr. SCHREIBER unter Mithilfe
des Apothekerehepaares PEITHNER die Wiedergründung eines Homöopathi-
schen Vereines betrieb. Während dieser Bemühungen kam Dorcsı dazu. Vor
40 Jahren, im Jahre 1953 wurde auf universitärem Boden die „Vereinigung
homöopathisch interessierter Ärzte“ gegründet, aus der später die heutige
„Gesellschaft für Homöopathische Medizin“ hervorgegangen ist. 1958 wurde
der XXII Ligakongreß in Salzburg, 1973 der XXVII, 1983 der XXXVIII Ligakon-
greß in Wien abgehalten. Dorcsi organisierte in Österreich von Anfang an die
Aus- und Fortbildung. Sein Interesse galt von Anfang an der Konstitution, dem
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konstitutionellen Zugang zum Menschen und zur Arznei. Für DORCSI war von
Anfang an die Homöopathie ein Bestandteil einer größeren Medizin. Um in
dieser die Homöopathie verständlich zu machen, bedarf es einer gemeinsamen
Sprache und der kollegialen Auseinandersetzung auf klinischen Boden. Um
auch junge Ärzte für die Homöopathie begeistern zu können, die Homöopa-
thie lehr- und lernbar zu machen, wurde mit Hilfe eines Forschungsauftrages
des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst ein Lehr- und Lernprogramm von
Pädagogen entwickelt, welches die Basis für die seit 1975 bestehenden zwei-
mal im Jahr stattfindenden Einwochenkurse darstellt. Hier wird der Anfänger
in der Homöopathie von seinem klinischen Wissen ausgehend stufenweise in
die Homöopathie eingeführt. An diesen von Dorcsi ins Leben gerufenen Kur-
sen nahmen bis zu 400 Ärzte teil. Ebenso erhielt 1975 die Homöopathie ein
offizielles Institut, das „Ludwig Boltzmanninstitut“ an einem Wiener Kranken-
haus, welches sich heute unter HAIDVOGL in Graz befindet. In der Folge wur-
den weitere Ambulanzen an verschiedenen Krankenhäusern errichtet. DORCSI
erhielt einen Lehrauftrag an der Universität Wien, welcher heute von P. KÖNIG
fortgeführt wird. Auch an der Universität Graz gibt es eine von den Studenten
organisierte Vorlesung über Homöopathie.
Heute, 40 Jahre nach der Wiedergründung umfaßt die „Österreichische Gesell-
schaft für Homöopathie“ etwa 700 Ärzte, daneben wurde 1991 die
„Ärztegesellschaft für Klassische Homöopathie“ gegründet.
Was ist nun das Besondere an der „Wiener Schule“?
Das grundsätzliche Bemühen der „Wiener Schule“ ist es, die Homöopathie den
ihr zustehenden Platz in der heutigen, größeren Medizin zu bereiten. Dazu
muß die Homöopathie ärztlich bleiben und von der „anderen“ Medizin ver-
standen werden können. Die Homöopathie muß lehr- und lernbar sein. So
wurde von Pädagogen ein „Stufenplan“ entwickelt, der von der Basisinforma-
tion über die Homöopathie bei Veranstaltungen, in Krankenhäuser ausgeht
und anschließend eine Sprache verwendet, die der Kliniker versteht, ohne daß
homöopathische Prinzipien verlassen werden. Der Beginn der Ausbildung
beginnt mit der „Organotropie“, bei der klinische Syndrome und Organberei-
che anhand der homöopathischen Arzneien differenziert werden. In der an-
schließenden Stufe II werden die Arzneien von den auslösenden Ursachen,
dem physischen und psychischen Trauma beleuchtet, um in Stufe III über die
Konstitution und den Diathesen hin zur Person zu gelangen. Die Vermittlung
der Konstitution, der Anlage und Verfassung des Menschen zu regulieren, sich
anzupassen und somit gesund zu bleiben wird vor allem in Gegensatzpaaren
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wie rot/blaß, ruhig/unruhig, warm/kalt etc. dargestellt. Seine Reaktions- und
Verhaltensweise in einer Krankheit zu reagieren entspricht der Diathese, die
wir in die lymphatische, lithämische und destruktive einteilen. All diese Berei-
che spiegeln sich in der homöopathischen Arznei wieder. Durch Ansehen,
Anhören und Begreifen des Patienten gelangen wir zur Person. Die Homöopa-
thie als eine Medizin der Person soll so zu einem Teil einer größeren Medizin
werden.
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